Wo bleibt ‚Major Schon‘? – „Flamme Rouge“

Diese Anspielung auf das gelbe Trikot des Führenden im Gesamtklassement (= maillot jaune) oder berühmte Zitate wie Udo Bölts „Quäl Dich du Sau!“ sind unzertennlich mit dem Radsport verbunden. Eine Sportart deren Image doch sehr unter der Entwicklung der letzten Jahre gelitten hat. Fast ein wenig Balsam für die Seele ist dieses in Erinnerung schwelgen, wie wir einst in Kindheits- und Jugendtagen unsere Helden bewundert haben. Punkt.

Worum geht's?

Wir treten zu einem Radrennen an – da das im Team Synergien freisetzen kann, übernehmen wir die Kontrolle über einen Sprinteur und einen Rouleur. Beide werden über ein Deck aus Handkarten gesteuert – während der Sprinteur eine höhere Differenz zwischen höchstem und niedrigsten Wert hat, ist der Rouleur eher ausgeglichen und hat eine kontinuierlichere Leistung. Runde um Runde wählen wir zuerst für den einen Fahrer, danach für den anderen Fahrer die Leistung und bewegen sie dann in Reihenfolge des aktuellen Klassements vorwärts.

Wessen Spielfigur – und es muss nur eine von beiden sein – zuerst die Ziellinie überquert (bzw. bei Gleichstand am weitesten über das Ziel fährt) gewinnt das Radrennen in Flamme Rouge. Fertig.

Spielaufbau für 2 Personen
Geht's auch etwas genauer?

Das kann ja wohl nicht alles sein – klingt es doch so wie ein Kinderspiel. Unsere Fortbewegungspunkte ermitteln wir aus 4 gezogenen Karten aus dem Kartendeck des jeweiligen Fahrers. Jede Person startet hier mit identischen Karte in Spielerfarbe. Eine ausgewählte Karte wird zunächst verdeckt gelegt. Im Anschluss werden 4 Karten vom Deck des anderen Fahrers gezogen und auch hier die Leisung bestimmt. Die jeweils 3 übriggebliebenen Karten kommen auf ein Ablagedeck und werden im Laufe des Spiels wieder gemisch und stehen erneut zur Verfügung. Haben das alle Personen am Tisch gemacht, werden gleichzeitig die Karten zuvor gewählten Karten aufgedeckt.

Jetzt wird, beginnend beim führenden Fahrer, die Spielfigur um soviele Felder weiter gezogen, wie es dem Wert der gewählten Karte entspricht. Dies geschieht so lange, bis auch der letzte im Peloton (= Fahrerfeld) bewegt wurde. Die gespielten Karten, werden aus der Partie entfernt. 

Jetzt wird es interessant: Denn Windschatten ist immer eine große Hilfe. Wenn sich nur ein freies Feld zwischen dem Fahrer und dem Fahrer davor befindet, so wird aufgerückt und zwar von hinten nach vorne. So wurde schon so mancher Ausreißversuch zunichte gemacht! Doch damit nicht genug – jede Figur die nun ein freies Feld vor sich hat, steht im Wind und muss eine Erschöpfungskarte in das eigene Deck nehmen – diese sind rot gefärbt und erlauben die Fortbewegung um lediglich 2 Felder.

Im Spielverlauf kommen noch Anstiege und Abfahrten hinzu. Wird Flamme Rouge mit Erweiterungen versehen, kommen auch noch Wettereinflüsse dazu und Fahrer, die „einfach nur“ im Hauptfeld mitstrampeln, sowie die Option ganze Touren zu Fahren. So erschließt sich die Komplexität im Laufe der Erstpartie relativ schnell, spätestens wenn das eigene Deck zum ersten Mal neu gemischt wird und die Karten nun wieder zur Verfügung stehen.

Handkartenmanagement - hier sind 3 Erschöpfungskarten hinzugekommen.
Im Thema versinken?

Das kann Flamme Rouge sehr gut – die Spannung, wenn unsere programmierten Züge genau wie geplant aufgehen. Oder wenn wir doch zur Spitzengruppe abreißen lassen müssen. Oder wenn wir gar wieder aufschließen können und die Lücke klein gefahren haben. Das sind die großen Momente einer Partie! Klar ist hier auch ein guter Bluff und das Glück beim Nachziehen der Karten wichtig. Die Spieldauer ist gerade richtig um nicht den ganz großen Frust aufkommen zu lassen, weil in Runde 1 der Reifen einen Platten hatte und dem Feld hinterher gefahren werden muss. Alles wirkt sehr gut ausbalanciert und so bleibt es oft spannend bis zum Schluss.

Die Spielanleitung hat die Aufmachung einer Zeitung
Was ist mit ... dem Spielmaterial?

Für mich passt hier alles wunderbar zusammen. Der Stil der Illustrationen erinnert an den Animationsfilm „Das große Rennen von Belleville“ – die Spielanleitung ahmt den Stil einer Zeitung nach und das Spielmaterial sind nicht etwa Würfel sondern kleine Radfahrer als Miniaturen! Für mich eine gelungene Umsetzung des Themas mit tollem Material. Einen Abzug in der B-Note: Die Fahrer dürften etwas „wertiger“ sein – sie erinnern doch zu sehr an die Plastikspielfiguren vergangener Tage und wirken etwas wackelig. Ob da ein 3D-Drucker Abhilfe schaffen kann?

In der Minierweiterung Meteo kommt Wetter hinzu
Fazit

Flamme Rouge heißt der rote Wimpel, der einer Flamme gleich den letzten Kilometer bei großen Rundfahrten wie der Tour de France markiert. Wenn du das eh bereits wusstest und Flamme Rouge tatsächlich noch nicht gespielt hast, dann wird es nun höchste Zeit das nachzuholen! Falls nichts davon auf dich zutrifft, dann darfst du ebenfalls einen Blick hierauf werfen. Denn Flamme Rouge kombiniert einfachsten Deckbau mit Handkartenmanagement und der nötigen Spannung, wie wir sie aus vergangenen Zeiten der Übertragung eines Radsportevents vielleicht noch dunkel erinnern können.

Eben noch mit großer Kraft an das Peloton herangekämpft, um es in der darauffolgenden Runde doch ziehen lassen zu müssen. Oder ein ganzes Rennen in Führung liegend gefahren um am Ende der Erschöpfung nachzugeben und überholt und stehengelassen zu werden – das geht hier und macht ordentlich Spaß. Sollte mal ein Rennen so gar nicht nach Plan verlaufen – es dauert vielleicht 30 Minuten, dann kann bereits eine Revanche gefordert werden – oder zumindest ein Häkchen an „Flamme Rouge gespielt“ gemacht werden.

Wer noch mehr möchte, dem seien die folgenden Erweiterungen ans Herz gelegt:

  • „Peloton“ – fügt Material für einen 5. und 6. Spieler hinzu
  • „Meteo“ – als Mini-Erweiterung fügt sie Wettereinflüsse hinzu
  • „Grand Tour“ – jetzt sind große Rundfahrten mit Etappen und Zwischenwertungen möglich.

Viel Spaß und gute Fahrt!

Idee: Asger Harding Granerud
Illustration: Ossi Hiekkala, Jere Kasanen
Verlag: Pegasus Spiele / lautapelit.fi
Erscheinungsjahr: 2016


Personen:
2 – 4 (mit Erweiterung „Peloton“ bis zu 6 Personen)
Altersempfehlung: ab 8 Jahren
Spieldauer: 30 – 45 Minuten